Mathematikunterricht sprachsensibel gestalten

Eigenaktivität

Betrachten Sie Ihr Schulbuch und stellen Sie sich dabei folgende Fragen:

  • Was wollen bzw. sollen die Kinder in den nächsten Mathematikstunden lernen?
  • Geht es um ein Aufgabenformat (Zahlenmauern, Entdecker-Päckchen, Rechentürme...) oder um besondere Inhalte (Addieren lernen, mit dem Spiegel spiegeln, Sachaufgaben lösen...)?
  • An welchen Stellen werden bildungs- und fachsprachliche Formulierungen benutzt oder von den Kindern eingefordert?
  • Wo könnte es im Mathematikunterricht zu sprachlichen Problemen kommen?
  • Und...haben Sie Ideen, wie Sie Ihre Kinder sprachlich unterstützen können?

Auf der Planungsebene, d. h. also auf der Ebene des Makro-Scaffoldings, können Sie bereits in der Unterrichtsplanung sprachfördernde Methoden und Aufgabenformate einfließen lassen.

Folgende Fördermöglichkeiten werden auf dieser Seite thematisiert:

Weitere Anregungen finden Sie im Materialteil.

Viele Ausführungen auf dieser Seite beziehen sich auf Kinderdokumente aus einer Lernumgebung zu den Rechenhäusern. Daher wird hier zunächst kurz das Aufgabenformat erläutert.
In einem Rechenhaus werden die linke und rechte Rechenzahl addiert bzw. subtrahiert.
Die Summe wird in das Dach geschrieben; die Differenz in den Keller.

Wortspeicher

Ein Wortspeicher stellt eine Sammlung von wichtigen Wörtern, Satzphrasen und auch ganzen Sätzen z. B. auf einem Plakat oder an der Tafel dar (vgl. Verboom 2008). Dabei dürfen durchaus alternative Formulierungen oder synonyme Begriffe zeitgleich aufgeführt werden.
Hier sehen Sie einige beispielhafte Wortspeicher aus verschiedenen Lernumgebungen:

Wort und Satzspeicher an der Tafel zum Aufgabenformat "Entdecker-Päckchen" in einem zweiten Schuljahr (vgl. Janetzko; Götze 2015)
Wort- und Satzspeicher zum Aufgabenformat "Zahlenfolgen"
in einem vierten Schuljahr vgl. (Pott 2015)
Satzspeicher an der Tafel zum Aufgabenformat "Zahlenketten" in einem zweiten Schuljahr (vgl. Plecha 2014; Götze 2015)

Wie sollte ein Wortspeicher gestaltet sein?

Ein Wortspeicher muss so geordnet sein, dass die Kinder auf den ersten Blick einen Begriff finden, den sie gerade für ihre Beschreibungen brauchen.
Wenn die Kinder immer wieder das gesamte Plakat auf der Suche nach dem passenden Wort durchlesen müssen, nimmt das zum einen viel Zeit in Anspruch, zum anderen ist es für die Kinder zu mühsam.
Der nebenstehende Wortspeicher stellt also keine Hilfe sondern eher ein Hindernis dar.

Wort- und Satzspeicher an der Tafel zum Aufgabenformat "Entdecker-Päckchen" in einem zweiten Schuljahr (vgl. Janetzko 2012; Götze 2015)

Wort- und Satzspeicher zum Aufgabenformat "Zahlenfolgen"
in einem vierten Schuljahr vgl. (Pott 2015)

Satzspeicher an der Tafel zum Aufgabenformat "Zahlenketten" in einem zweiten Schuljahr (vgl. Plecha 2014; Götze 2015)

Wie sollte ein Wortspeicher gestaltet sein?

Ein Wortspeicher muss so geordnet sein, dass die Kinder auf den ersten Blick einen Begriff finden, den sie gerade für ihre Beschreibungen brauchen.
Wenn die Kinder immer wieder das gesamte Plakat auf der Suche nach dem passenden Wort durchlesen müssen, nimmt das zum einen viel Zeit in Anspruch, zum anderen ist es für die Kinder zu mühsam.
Der nebenstehende Wortspeicher stellt also keine Hilfe sondern eher ein Hindernis dar.

Wie wird ein Wortspeicher erarbeitet?

Vor der Erarbeitung eines Wortspeichers

Lassen Sie die Kinder zunächst mit ihren eigenen sprachlichen Mitteln z. B. eine Entdeckung zu einem Aufgabenformat beschreiben. Greifen Sie damit also die Alltagssprache der Kinder bewusst auf.

Das nebenstehende Schülerdokument zeigt exemplarisch, welche individuellen oftmals alltagssprachlichen Beschreibungen möglicherweise auftreten können (vgl. Meyer-Holtgreve 2014).
Es ist durchaus erwartbar, dass die Kinder die Zahlen einfach durchnummerieren. Ebenso neigen viele Kinder dazu die Veränderung der Zahlen mit Ausdrücken der Rechenoperationen wie "immer plus 1" zu beschreiben.

Erarbeitungsphase

Lassen Sie in der Reflexionsphase einige Kinder ihre Beschreibungen vorlesen und verdeutlichen Sie, dass das Beschreiben keine einfache Angelegenheit darstellt, und die Kinder dringend wichtige Wörter sammeln müssen. Darunter zählen auch die Wörter der Mathematiker wie z. B. Summe, Differenz, addieren, subtrahieren ...

Dann entwickeln Sie gemeinsam den Wortspeicher, indem Sie mathematisch relevante Begriffe und Satzphrasen einbringen (z. B. auf Zetteln vorbereitet), aber insbesondere auch die Begriffe der Kinder aufgreifen. Diese Phase des Sammelns müssen Sie bewusst moderieren, denn Fachbegriffe oder bildungssprachliche Formulierungen können nicht selbst entdeckt werden.

Den Kindern ist natürlich nicht bewusst, was ein "wichtiges" Wort oder ein "wichtiger" Satz ist. Von daher dürfen Sie kein sinnloses Ratespiel entstehen lassen. Achten Sie vielmehr darauf, welche Begrifflichkeiten Sie in der 1. Phase bei den Kindern bereits gesehen haben.

Rufen Sie die Kinder dann gezielt auf: "Bei ... habe ich ein wichtiges Wort/einen guten Satz gesehen. Das/Der muss noch unbedingt in den Wortspeicher. Liest du bitte mal vor, was du geschrieben hast?"So lassen Sie den Wortspeicher zu einem gemeinsamen Produkt werden.

Aufnahme von Fachbegriffen und Formulierungen

Nehmen Sie in den Wortspeicher somit gezielt fachsprachliche Begriffe wie z. B. "Summe" oder auch "addieren" mit auf, um die fachsprachlichen Kompetenzen der Kinder gezielt anzuregen. Ebenso gehören fachsprachliche Satzphrasen wie z. B. "wird immer um … größer/kleiner" in den Wortspeicher.
Dies sind die Fachbegriffe und Satzphrasen, die die Kinder in späteren Schuljahren und bei späteren Aufgaben immer wieder brauchen – machen Sie das den Kindern bewusst!
Die Kinder sind in der Regel sehr stolz, ihre Entdeckungen wie ein Mathematiker aufschreiben zu können. Erweitern Sie den Wortspeicher, sobald Sie merken, dass neue Begriffe notwendig bzw. die Kinder für neue Fachbegriffe offen sind.

Natürlich benutzen die Kinder auch immer wieder alltagssprachliche Begriffe und Formulierungen. Die sprachlichen Entwicklungen der Kinder sind durchaus individuell und sprunghaft. So hat sich die Drittklässlerin Nathalie (Dreier & Wissing 2014; Götze 2015) in der zweiten Unterrichtsstunde zu den Rechenhäusern in Teilen am Wortspeicher orientiert:​

Allerdings benutzt sie die Begriffe "Dachzahl" und "Kellerzahl", die natürlich eher alltagssprachlich als fachsprachlich einzuordnen sind. Nathalie müsste dazu angeregt werden, die Begriffe wie "Summe im Dach" und "Differenz im Keller" zunehmend zur Beschreibung ihrer Entdeckungen zu nutzen.

Favorisieren Sie daher die mathematische Fachsprache oder fragen Sie die Kinder immer wieder, ob sie ihre Entdeckungen auch noch anders beschreiben können: Mit den Wörtern der Mathematiker.

Wertschätzung der Wortspeicher

Verweisen Sie die Kinder stets bei weiteren Beschreibungsversuchen auf den Wortspeicher. Wenn Sie den Wortspeicher nicht wertschätzen, dann werden die Kinder dies auch nicht tun.

Bewahren Sie die Wortspeicherplakate auf und holen Sie sie wieder hervor, wenn das entsprechende Aufgabenformat erneut thematisiert wird. Damit aktivieren Sie zum einen die vergangenen und schaffen sehr gute Anknüpfungspunkte für zukünftige Lerninhalte.
Gleichzeitig wird den Kindern bewusst, dass das Beschreiben und Begründen ein sich immer wiederholender Baustein im Mathematikunterricht ist.

Wortspeicher für Kinder mit besonderen sprachlichen Schwierigkeiten

Bei besonders sprachlich-schwachen Kindern hat es sich bewährt, die Artikel und möglicherweise auch die Begrifflichkeiten im Singular und Plural mit aufzuführen. Achten Sie aber darauf, dass der Wortspeicher nicht zu unübersichtlich wird.

Es kann hilfreich sein, wenn die Kinder einen eigenen Wortspeicher in ihren Unterlagen oder auf dem Tisch neben sich liegen haben. Das kann ein Wortspeicher sein, den Sie in Teilen vorgeben und den die Kinder dann individuell ergänzen können.
Insbesondere bei Kindern mit Förderschwerpunkt Sprache hat sich dieses Vorgehen als sehr nützlich erwiesen (vgl. Schmale 2014; Götze 2015).

Es kann zudem passieren, dass Ihre Kinder den Wortspeicher insbesondere anfangs vollkommen ignorieren. Es ist dann wichtig, dass Sie auf der Mikro-Ebene immer wieder auf ihn verweisen und in wertschätzen.

Wortspeicherfilm

Unter Material finden Sie einen Link auf den Wortspeicherfilm des Projektes PIK AS. Dort können Sie sehen, wie eine Lehrerin gemeinsam mit ihrer jahrgangsgemischten Klasse 1/2 einen Wortspeicher erarbeitet.
Schauen Sie sich diesen Wortspeicherfilm im Hinblick auf folgende Fragestellungen an:

  • Welche der obigen Tipps und Hinweise zur Erarbeitung eines Wortspeichers werden in der im Film gezeigten Sequenz berücksichtigt?
  • Was würden Sie insbesondere unter Berücksichtigung der auf dieser Seite gelernten Aspekte zur Erarbeitung eines Wortspeichers anders machen?

Sprachliche Vorbilder

Insbesondere für sprachlich-schwache Kinder kann es eine große Hilfe sein, sich an einem sprachlichen Vorbild orientieren zu dürfen. Das können selbstverständlich unter anderem die Mitschülerinnen und Mitschüler sein, die eine mathematische Entdeckung besonders gut sprachlich formuliert haben.
Es ist dann Ihre Aufgabe eine besonders gelungene Beschreibung oder Begründung als solche herauszustellen und ggf. für alle sichtbar z. B. im Wortspeicher festzuhalten. Im täglichen Unterricht kommt es aber immer wieder vor, dass die Kinder diese sprachlichen Angebote an der Tafel nicht nutzen.
Um eine sprachlich und zugleich mathematisch konstruktive Auseinandersetzung mit sprachlichen Vorbildern zu begünstigen, bietet es sich an, Arbeitsaufträge zu konzipieren, bei denen die Kinder ausgehend von einer Beschreibung oder Begründung eine dazu passende Aufgabenstellung finden müssen.

Warum sollen die Kinder Muster in Aufgaben immer nur beschreiben? Warum nicht mal zu einer Beschreibung die passende Aufgabe finden?

In einer dritten Klasse wurde auf diese Weise mit den Rechenhäusern gearbeitet.

In der zweiten Unterrichtsstunde – nachdem am Ende der ersten Stunde der Wortspeicher erarbeitet wurde – haben die Kinder folgendes Arbeitsblatt bekommen (in Anlehnung an Götze 2015).

Im weiteren Verlauf sollten die Kinder eine der verbleibenden beiden Häuserreihen mit eigenen Worten beschreiben. Entgegen allen Befürchtungen, die Kinder würden nur abschreiben, entstehen in der Regel sehr individuelle eigene Beschreibungen, die sich lediglich an dem sprachlichen Vorbild (dem sprachlichen Gerüst) von Piko orientieren.

So hat die Drittklässlerin Lena im obigen Schülerdokument entgegen Pikos beispielhafte Beschreibung nicht die Begriffe "erste und zweite Rechenzahl" sondern "linke und rechte Rechenzahl" gewählt, weil diese Begriffe im Wortspeicher aufgeführt waren.
​"Summe im Dach" und "Differenz im Keller" verkürzt sie durch "Summe" und "Differenz". Die Formulierung "wird immer um ... größer" hat sie durch die Formulierung "ist immer .. mehr" ersetzt, die allerdings sprachlich nicht ganz korrekt ist. Sie sollte darauf hingewiesen werden, dass die Formulierung "wird immer 2 mehr" besser ist (vgl. Meyer-Holtgreve 2014).
Hinweis:
Das sprachliche Vorbild soll nur ein Orientierungsrahmen bieten und keine verpflichtende Begrenzung vorgeben. Demnach ist es nicht das Ziel, dass alle Kinder einen zu Piko identischen Text entwerfen. Pikos Beschreibung stellt lediglich ein Orientierungsangebot dar!

Über Sprache nachdenken

Es hat sich für die Kinder als sehr sinnstiftend und geradezu als Antrieb für die Sprachförderung herausgestellt, gemeinsam zu überlegen, was eine gute Beschreibung ausmacht. In der Regel können derartige Metaprozesse gut über ein Arbeitsblatt initiiert werden, in dem die Beschreibungen von erfundenen Kindern bewertet werden müssen (vgl. Verboom 2008; PIK AS 2016).

Bei dem folgenden Arbeitsblatt (in Anlehnung an Götze 2015; PIK AS 2016) werden die Kinder im Kontext der Rechenhäuser aufgefordert, die drei aufgeführten Beschreibungen zu bewerten. Dazu sollen sie zunächst den für sie passenden Smiley markieren (für sehr gute, mittelmäßige, schlechte Bewertung), aber auch anschließend ihre Einschätzung begründen.

Anhand der Begründungen der Kinder können Sie erkennen, welche Kriterien für ihre Einschätzung herangezogen wurden. Schließlich können neben (fach-)sprachlichen auch noch diverse andere – oftmals sehr individuelle – Kriterien leitend für die Einschätzung sein, wie das folgende Kinderdokument (vgl. Kemesies 2014; Götze 2015) exemplarisch zeigt.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass gängigerweise folgende Kriterien von den Kindern zur Beurteilung der Beschreibungen herangezogen werden (vgl. Götze 2015):

  1. Wurden die Wörter des Wortspeichers benutzt?
  2. Wurde anders als vereinbart, d. h. alltagssprachlich oder unvollständig, beschrieben?
  3. Ist der Text vor dem Hintergrund des eigenen Sprachstands verständlich?
  4. Wie viel wurde geschrieben?
  5. Wurden wenige Zahlen im Text benutzt?
  6. Wurden viele Zahlen benutzt, denn mathematische Texte müssen Zahlen enthalten?

Benutzen die Kinder eines der ersten drei Kriterien, so ziehen sie zumindest Kriterien auf (fach-)sprachlicher Ebene heran oder verdeutlichen, dass die Fachsprache für sie noch sehr komplex zu verstehen ist.

Beim 4., 5. oder 6. Kriterium wird der Maßstab nicht an fachlichen Kriterien gemessen. Oftmals schätzen die Kinder bei diesen Kriterien die fachsprachlich besten Beschreibungen als eher mittelmäßig oder sogar schlecht ein (vgl. Schülerdokument oben).

Von daher ist es unerlässlich mit den Kindern über die Bearbeitung dieses Arbeitsblattes zu sprechen und Kriterien für gute Beschreibungen möglicherweise schriftlich z. B. in Form einer Mindmap an der Tafel festzuhalten (vgl. Götze 2015).

Weitere Anregungen

Es gibt noch zahlreiche weitere Anregungen, um auf der Makro-Ebene die sprachlichen Kompetenzen der Kinder zu fördern. Dazu gehören z. B. Satzphrasen-Puzzle, Beschreibungs-Domino, Mathe-Bingo, Aussagen korrigieren, Wenn-Dann-Relationen üben, Partnerdiktate und Zahlenrätsel mit sprachlichen Angeboten...

Unter Material werden Ihnen Quellen genannt, in denen Sie sich über diese weiteren Möglichkeiten des Makro-Scaffoldings informieren können.