Der fünfjährige Johann kann schon recht gut zählen. Stolz sagt er die Zahlwörter bis 95 auf und fährt fort:

Illustration von einem Kind und einer Lehrkraft. Das Kind sagt: „…96, 97, 98, 99, hundert, einhundert, zweihundert, dreihundert…“ Die Erwachsene sagt: „Nein, nein, das stimmt nicht. So weit kannst du noch nicht zählen. Es heißt hunderteins, hundertzwei, hundertdrei…“

So wie Johann zählen viele Kinder irgendwann einmal. Das heißt in der Regel jedoch nicht, dass sie in Hunderterschritten (100, 200, 300, ...) vorgehen.
Vielmehr vollbringen sie eine kreative Leistung. Sie übertragen die Regeln, die für die Zahlen von 13 bis 99 gelten, auf größere Zahlen. Zuerst werden die Einer gesprochen: acht-und-neunzig, neun-und-neunzig, hundert, ein-und-hundert, zwei-und-hundert, drei-und-hundert usw. Das 'und' lassen die Kinder vermutlich weg, weil sie Wörter wie einhundert, zweihundert usw. schon gehört haben, ein-und-hundert dagegen nicht. Außerdem gibt es bei dreizehn oder vierzehn auch kein 'und'.
Johanns Zählweise kann also ganz unterschiedlich wahrgenommen, interpretiert und bewertet werden.
Man kann sein Denken und Lernen vorwiegend defizitorientiert sehen:
Dabei orientiert man sich hauptsächlich an dem, was richtig ist, und daran, was die Kinder noch lernen müssen. Abweichungen von dieser Norm bewertet man als Defizite. Solche Fehler müssen verbessert oder – noch besser – verhindert werden.
Im Gegensatz dazu kann man das Denken und Lernen aber auch bewusst stärkenorientiert wahrnehmen:
Dann interessiert man sich für das, was die Kinder schon können. Man bemüht sich, ihre Denkweisen grundsätzlich als sinnvolles Vorgehen zu verstehen, den Kindern dieses wohlwollende Interesse zu signalisieren und weitere Lernprozesse darauf zu gründen.
Beherzigt man Letzteres, so wird deutlich, dass Überlegungen von Kindern oft vernünftiger, organisierter und intelligenter sind, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.

(KIRA o. J.)

Der KIRA-Film illustriert, dass Kinder bisweilen anders rechnen, ...

  • anders, als Erwachsene es vermuten,
  • anders, als andere Kinder,
  • anders, als sie selbst noch vor wenigen Augenblicken, und
  • anders, als Erwachsene es möchten.

Diese Überlegungen werden anschaulich im Film 'Kinder rechnen anders' illustriert.

Auf den Unterseiten soll in diesem Kontext zwei zentralen Fragen nachgegangen werden:

  • Was muss ich für eine stärkenorientierte Diagnose dieser individuellen Denk- und Vorgehensweisen berücksichtigen?
  • Wie lassen sich diese möglichst effektiv initiieren bzw. erheben?

An dieser Stellen wollen wir auf den Leitfaden Das KIRA-Buch: Kinder rechnen anders. Verstehen und Fördern im Mathematikunterricht aufmerksam machen. (2019), erschienen im Friedrich Verlag, in dem Daniela Götze, Christoph Selter und Elena Zannetin typische Rechenwege von Kinder, aber auch häufig zu beobachtende Fehler im Bereich der Arithmetik anschaulich darstellen.

Umschlag des Buchs „Das KIRA-Buch: Kinder rechnen anders. Verstehen und Fördern im Mathematikunterricht“.

Weitere Infos, Anregungen und Materialien finden Sie bei PIKAS: Haus 9 -Texte und auf der Website des Projekts KIRA.