Erst schauen, dann Rechnen – Sensibilisierung für Rechenvorteile

Aus den vorangegangen Ausführungen geht hervor: Für das flexible Rechnen ist, neben der kontinuierlichen Festigung von Zahl- und Operationsvorstellungen und der Basisfakten als Grundlagen, die Initiierung und Festigung eines Zahlen- und Aufgabenblicks grundlegend, um Rechenvorteile überhaupt wahrzunehmen und sich diese dann zum vorteilhaften und flexiblen Rechnen zu Nutze zu machen. 

Doch wie müssen Lernangebote nun konkret gestaltet sein, um den Blick der Kinder für Beziehungen und Zusammenhänge zwischen Zahlen, und ihre aufgabenbezogene oder von den eigenen Präferenzen abhängige Nutzung der verschiedenen Verfahren und Strategien zu fördern?

Auf der folgenden Seite wird die Lernumgebung „Im Kopf oder schriftlich“ dargestellt, die am Beispiel der Subtraktion aufzeigt, wie es gelingen kann, Lernende für Zahl- und Aufgabenmerkmale zu sensibilisieren. Die dahinterliegenden Ideen lassen sich dabei genauso auf die Subtraktion, Multiplikation und Division übertragen.

„Im Kopf oder schriftlich“ – Das übergeordnete Lernvorhaben

 

Die Leitfrage des im Folgenden beschriebenen Lernvorhabens bezieht sich darauf, wie es gelingen kann, das flexible Rechnen, den „Zahlenblick“ und den „Aufgabenblick“, also die aufgabenbezogene oder von eigenen Präferenzen abhängige Nutzung der verschiedenen Verfahren zu fördern, wenn die Kinder sich auf eigenen Wegen mit halbschriftlichen Strategien auseinandergesetzt haben und den schriftlichen Algorithmus verständig erlernt haben (vgl. PIKAS: Haus 5: Lernen auf eigenen Wegen – Unterrichtsmaterial).

Ziel: Die Kinder sollen dabei erkennen, dass der schriftliche Algorithmus kein „Königsweg“ ist, sondern dass es aufgabenabhängig „schlau“ sein kann, im Kopf bzw. halbschriftlich zu rechnen. Dafür sollen sie sensibel für Zahl- und Aufgabeneigenschaften und –beziehungen werden und den möglichen Nutzen beim Ermitteln der Ergebnisse erkennen.

Initiierung des Zahlblicks - Betrachtung gegebener Aufgaben

Entscheide selbst - im KoPf oder schriftlich!

Ziel:

 

In der Regel neigen Kinder dazu, sich sofort an das „Rechnen“ zu machen. Sie sind es nicht gewohnt und verfügen vielleicht auch noch nicht über das nötige Zahlwissen, um sich die Aufgabe erst einmal anzuschauen und zu überlegen, wie man sich geschickt lösen könnte. Dieser Drang vieler Kinder, eine Aufgabe sofort ausrechnen zu wollen, muss „gebremst“ werden, wenn zunächst überlegt werden soll, welches Verfahren aufgabenbezogen „schlau“ ist. 

Aufgabe:

 

Das Motto zur Initiation dieser Meta-Betrachtung lautet daher: „Erst schauen. Dann überlegen, wie du schlau rechnen kannst!“. Als Symbol für den sog. „Zahlenblick“ bzw. „Aufgabenblick“ dient hier ein Augenpaar.

Aufgaben mit charakteristischen merkmalen sollen so kategorisiert werden (im Kopf links, schriftlich links). Dabei sollen die Kinder die Aufgaben nicht ausrechnen, so dass kein extra Platz für Rechnungen gegeben werden sollte.

Knackpunkt:

Wichtig ist es, dass es dabei im engeren Sinne keine „richtigen“ und „falschen“ Lösungen gibt, denn es ist möglich, dass die Kinder unterschiedliche Zuordnungen vornehmen, da diese einerseits vom Können der einzelnen Kinder und andererseits von ihren persönlichen Präferenzen abhängen. Diese Divergenz der Lösungen kann sich zu einer interessanten Herausforderung im Austausch mit anderen Kindern entwickeln (s.u.: „So kann es gehen“) und sollte auch Gesprächsgegenstand im Plenum sein.

Warum im Kopf – warum schriftlich? – Kriterien und Aufgabentypen

Ziel:

 
 

Wichtig ist es, dass der „Zahlen- und Aufgabenblick“ bewusst mit den Kindern thematisiert wird, Im Folgenden steht somit der Entscheidungsprozess bzw. die Begründung der Entscheidung im Vordergrund. Dabei sollen im Austausch erste Typisierungen von Zahlen- und Aufgabenmerkmalen herausgestellt werden und dabei ein „Kriterienkatalog“ sowie Tipps aufgestellt und formuliert werden. 

Aufgabe:

So sollen die Kinder sich jeweils zwei Aufgaben aussuchen und begründet (schriftlich) Stellung nehmen, warum sie diese im Kopf oder schriftliche gerechnet haben.
In Form von Mathekonferenzen sollen die Kinder dann mit anderen Kindern in den Austauschtreten, um so Einsicht in andere Zuordnungen und ihre Begründungen zu bekommen. Ziel ist es u.a. auch danach die eigenen Begründungen zu präzisieren bzw. differenzierter auszuformulieren.

 

Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, dass dann gemeinsam mit den Kindern die einzelnen Aufgaben beurteilt und Kriterien („Tipps“) entwickelt werden, die wiedergeben, wann eine Aufgabe als „leicht(er)“ bzw. „schwieriger“ eingeschätzt werden kann (nicht: muss) bzw. wann man diese deshalb im Kopf oder doch schriftlich rechnet.
Solche - aus der fachlichen Sicht betrachtet – ‚objektiven Kriterien’ sind die Zahlengröße und ihre Eigenschaften (z.B. „glatte Zahlen“, „nicht glatte Zahlen“, ihre „Schwellennähe“ („nah an  einer glatten Zahl“; „Fast-glatte Zahl“)) sowie die Nutzbarkeit von Zahlbeziehungen – also wie aus ‚schwierigen’ Aufgaben ‚leichtere’ gemacht werden können: z.B. durch Zerlegen und Zusammensetzen von Zahlen, Vereinfachen der Aufgaben durch Umstellen von Zahlen, Nutzen von Hilfsaufgaben oder Nutzen von Analogien.

Knackpunkt:

 

Dass es – aus der Sicht der einzelnen Kinder - auch „subjektive Kriterien“ gibt, die auch durch Vorlieben für bestimmte Rechentricks geprägt sein können, sollte ebenfalls thematisiert werden, damit die Kinder erfahren, dass manche Wege vielleicht leichter bzw. schneller ans Ziel führen, aber dass trotzdem verschiedene Sichtweisen möglich sind, was als „schlau“ wahrgenommen wird.
Ebenso zeigt die Erfahrung, dass einige Kinder zunächst dabei verbleiben, die Zuordnung einer mündlich gelösten Aufgabe damit zu begründen, dass diese „leicht“ war bzw. umgekehrt, dass schriftlich gerechnet wurde, weil die Aufgabe „schwierig“ war. Um schließlich auch die Auseinandersetzung mit fachlich ‚objektiven’ Kriterien zur aufgabenbezogenen Nutzung eines Verfahrens zu gewährleisten, muss die Lehrperson in solchen Fällen ggf. gezielt auf Zahleigenschaften und -beziehungen sowie Aufgabenmerkmale hinweisen.

Erfinden von Aufgaben zu unterschiedlichen Aufgabentypen -Eigenproduktionen

Erfinde leichte und schwere Aufgaben

Ziel:

 
 

Auf der Basis der erstellten Kriterien (aber auch eigener Präferenzen) erstellen die Kinder eigene „leichte“ und „schwere“ Aufgaben. Dabei sollen die Kinder die Erkenntnisse über Zahlmerkmale und Aufgabenbeziehungen bewusst anwenden / verwenden und so diese Einsichten intensivieren. 

Aufgabe:

 

Die Kinder sollen mit vorgegebenem Zahlenmaterial (wie hier auf dem AB zur Subtraktion) viele unterschiedliche Additionsaufgaben bilden. Dann sollen sie zuordnen, ob diese Aufgabe leicht (‚ich rechne im Kopf‘) oder schwer (‚ich rechne schriftlich‘) sind. Dabei können sie auch schon ganz bewusst Aufgaben konstruieren, in denen sie Zahl- und Aufgabenmerkmale- und beziehungen berücksichtigen und Zahlen so zu Aufgaben konstruieren.

Knackpunkt:

Auch hier stellt der Austausch mit anderen Kindern eine zentrale Lerngelegenheit da. Dabei können die Kinder die Aufgaben auch zunächst nur auf kleine Zettel schreiben und sie von einem Partnerkind zuordnen lassen, um dann ihre Zuordnungen zu vergleichen und über diese in den Austausch zu treten.

Einsatz und Anwendung flexibler Rechenstrategien - Übung flexiblen Rechnens

Rechne schlau!

Ziel:

Genauso wichtig wie das Nachdenken über ist aber auch die regelmäßige Übung im flexiblen Rechnen, um schließlich das richtige Mischungsverhältnis von Reflexion und Routine verfügen zu können.

Knackpunkt:

 

Die abschließende Reflexionsphase im Plenum sollte den Kindern nochmals Raum geben, über die Besonderheiten der einzelnen Aufgaben zu reflektieren: Durch den Austausch sollte gewährleistet werden, dass Begründungen dafür dargelegt werden, wann welche Rechenmethode bei welchem Aufgabentyp besonders „schlau“ ist. Dabei sollten weniger „schlaue“ Ansätze von den Kindern als solche identifiziert werden können. Wichtig ist das explizite namentliche Benennen der einzelnen Merkmale/ Besonderheiten der Aufgaben im Zusammenhang mit der Rechenmethode (vgl. Lehrermaterial: Ideen für Kriterien), um das Bewusstsein der Kinder für deren Unterschiedlichkeit zu schärfen.

Zusammenfassung

Die vorgestellte Lernumgebung soll dabei nicht als abschließende Thematisierung des flexiblen Rechnens verstanden werden. Der Aufgabenblick muss immer und kontinuierlich geschult werden – schon von Beginn an. So müssen im Unterricht immer wieder Gelegenheiten geschaffen werden, um über Rechenwege zu reflektieren. 

Wichtig: Förderlich für den Auf- und Ausbau von Kompetenzen im flexiblen Rechnen sind Kompetenzen im Bereich des „schnellen Kopfrechnens“ (vgl. Lehrplan, S. 62), also unmittelbar abrufbare Kenntnisse (wie die Aufgaben des Einspluseins) und schnell ausführbare Fertigkeiten (wie das Ergänzen zur nächsten Stufenzahl), die auf anschauungsgestützten Vorstellungen von Zahlen und Rechenoperationen basiere. Das bedeutet auch, dass flexibles Rechnen und das schnelle Rechnen vom 1. Schuljahr Hand in Hand gehen müssen.