Wo ist denn eigentlich vorne?

In einem 2. Schuljahr wirft die Lehrerin mit dem Whiteboard folgendes Bild an die Wand und fragt: „Kann mir jemand zeigen, wo in diesem Bild eigentlich "vorne" ist?“

Bild einer Straße mit Zebrastreifen, über den ein roter Lastwagen fährt. Am Zebrastreifen steht ein Kind.

Julia meldet sich schnell und sagt: „Vorne, das ist doch da (zeigt auf den Straßenrand am Verkehrsschild) – denn vorne ist doch immer da, wo das Bild anfängt."

Nils bringt sich ein: „Wenn ich jetzt aber der Lastwagenfahrer wäre, dann wäre vorne da (zeigt auf die Straße in Fahrtrichtung) – weil ich ja mit dem Auto nach vorne fahre“.

Josh fragt kritisch: „Ist nicht vorne die Seite des Autos, denn da guck ich ja drauf, wenn ich hier auf dem Zebrastreifen am Straßenrand stehe?
 
Ja, wer von den Kindern hat den nun Recht? Wo ist auf diesem Bild vorne? Ist vorne dort, wo der Lastwagenfahrer hinfahren will? Ist vorn die Vorderseite des Lastautos, die man als Passant sehen kann? Ist vorn der Vordergrund des Bildes, wenn man sich als Betrachter des Bildes mit einbezieht?

Eine eindeutige Lösung gibt es natürlich nicht – denn es kommt darauf an, aus welche Perspektive man das Bild betrachtet und die Frage beantwortet. 
Im Mathematikunterricht der Grundschule sollen die Kinder dabei lernen, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen – und das nicht nur, wenn sie sich selbst oder sich die zu betrachtenden Gegenstände real im Raum befinden. Viel mehr sollen sie lernen, sich durch Vorstellungsbilder auch gedanklich im Raum orientieren zu können und dabei ihre eigene und wechselnde Perspektiven zu Gegenstände einordnen zu können.

In diesem Selbstlernmodul wird in diesem Zusammenhang auf die folgenden zentralen Fragen eingegangen :
  1. Was versteht man eigentlich unter ,,räumlicher Orientierung''?
  2. Was müssen Kinder können, um sich räumlich orientieren zu können?
  3. Wie kann das räumliche Orientierungsvermögen geschult werden?