Die Bedeutung der räumlichen Vorstellung

Unsere (dreidimensionale) Welt ist geprägt von geometrischen Strukturen. Um sich in ihr zurechtzufinden, müssen die räumlichen Gegebenheiten wahrgenommen werden. Sie müssen in der Vorstellung "gesehen", bewegt und umsortiert werden. Dabei bedient sich unser Denken, unsere kognitiven Kompetenzen, visueller und somit geometrischer Stützen.

Die Schulung der Raumvorstellung stellt ein zentrales Ziel des Mathematikunterrichts dar. Das Raumvorstellungsvermögen entwickelt sich im Alter von sieben bis dreizehn Jahren besonders stark, sodass diese empfängliche Phase genutzt werden muss und die Kinder somit schon in der Schuleingangsphase geometrische Erfahrungen sammeln sollten.

Durch die auf dieser Seite folgenden Ausführungen soll zunächst ein grundlegendes Verständnis der Begrifflichkeit "Raumvorstellung“ aufgestellt werden, bevor darauf aufbauend auf der Unterseite "Unterricht“ konkrete Aktivitäten zu dessen Schulung dargestellt werden können.

Um auf dieser Seite ein Begriffsverständnis aufzubauen, macht es Sinn, sich grundlegend Gedanken zu machen, welche Kompetenzen Kinder denn besitzen müssen, um raumgeomterische Aufgabenstellungen zu lösen. Versuchen Sie es zunächst selbst:

Eigenaktivität: Welche der drei abgebildeten Darstellungen stimmen überein?

Abbildung von 3 Würfelgebäuden „a, b, c“ aus unterschiedlichen Perspektiven.

Überlegen Sie, was Sie selbst zur Lösung der Aufgabe "leisten" müssen.

Was wird unter der Begrifflichkeit der "Raumvorstellung" verstanden?

Es wird deutlich, dass zur Lösung der oben gestellten Aufgabe verschiedenartige und vor allem komplexe Fähigkeiten benötigt werden. All diese Teilfähigkeiten lassen sich unter der Begrifflichkeit der Raumvorstellung zusammenfassen.
Im klassischen Sinne wird sie dabei als die Fähigkeit, in der Vorstellung räumlich sehen und denken zu können, beschrieben. Diese Fähigkeit umfasst dabei den aktiven Umgang mit im Gedächtnis gespeicherten Vorstellungsbildern, ihre Umordnung und die Entwicklung von neuen Bildern in der Vorstellung (vgl. Maier 1999). 

Besuden unterscheidet drei Subkomponenten der Raumvorstellung, die nicht getrennt voneinander zu betrachten sind, sondern viel eher voneinander abhängig sind:

  1. Räumliche Orientierung: Die Fähigkeit, der richtigen räumlichen Einordnung der eigenen Person, um sich wirklich oder gedanklich im Raum bewegen zu können.
  2. Räumliches Vorstellungsvermögen: Die Fähigkeit, räumliche Objekte auch bei deren Abwesenheit reproduzieren zu können, sei es durch Sprache oder zeichnerische Wiedergabe.
  3. Räumliches Denken: Die Fähigkeit, mit Vorstellungen gedanklich zu operieren, d. h., dass Lageveränderungen, Spiegelungen und Drehungen an ihnen gedanklich vollzogen werden können, wobei hierbei die Handlungen mit Objekten verinnerlicht worden sein müssen.

Warum ist die Ausbildung der damit verbundenen Kompetenzen wichtig?

Ein ausgeprägtes Raumvorstellungsvermögen trägt dabei nicht nur zur besseren Bewältigung von Alltagssituationen bei, sondern stellt zudem auch eine wichtige Komponente der intellektuellen Entwicklung dar (vgl. Merschmeyer-Brüwer 2003, S. 7). So werden „spezifische Denkweisen, wie z. B. Regeln und Zusammenhänge entdecken und systematisches Problemlösen, das mit kreativem Probieren einhergeht, gerade durch geometrische Aufgabenstellungen initiiert“ (Grassmann, S. 7). Somit beeinflussen sie den Aufbau weiterer, auch übergreifender Kompetenzen im Bereich der Mathematik.

Diese Forderung findet sich auch in den Lehrplänen und den Bildungsstandards wieder, die im Bereich "Raum und Form“ unter den dort aufgeführten Kompetenzerwartungen Bezug auf die Ausbildung des räumlichen Vorstellungsvermögens nehmen.

Im Lehrplan NRW werden zum Beispiel sowohl unter dem Schwerpunkt "sich im Raum orientieren" als auch unter "Ebene Figuren" und "Körper" unterschiedliche Kompetenzen konkretisiert. Eine wichtige Facette stellt dabei das Erkennen von räumlichen Beziehungen dar, um z. B. Figuren oder Körper in der Vorstellung zu bewegen und das Ergebnis der Bewegung vorherzusagen (vgl. MSW NRW 2008, S. 63), aber auch die Fähigkeit, z. B. Bauwerken ihre zwei- oder dreidimensionalen Darstellungen zuordnen zu können (vgl. MSW NRW 2008, S. 64).

Welche Leitideen zur Förderung der Raumvorstellung sollten beachtet werden?

Konkrete Handlungen als Voraussetzung

In Bezug auf den Mathematikunterricht bedeuten die vorangegangenen Ausführungen, dass den Kindern früh die Gelegenheit gegeben werden muss, mit geometrischen Körpern und ebenen Figuren handelnd umzugehen. Denn erst durch die konkreten Handlungen am und mit Material können Vorstellungsbilder entstehen, die die Grundlage der räumlichen Orientierung, des räumlichen Vorstellungsvermögens und des räumlichen Denkens sind.

Durch die aktive Herstellung von Körpern und ebenen Figuren, deren Umordnung oder Veränderung, können unterschiedliche Vorstellungsbilder entstehen, die abgespeichert, verändert und zu einem späteren Zeitpunkt zueinander in Beziehung gesetzt werden können.

Denn Raumvorstellung beschränkt sich nicht darauf, diese Bilder im Gedächtnis zu speichern und bei Bedarf abzurufen, sondern vielmehr mit diesen Bildern aktiv umzugehen, sie mental umzuordnen und neue Bilder aus vorhandenen vorstellungsmäßig zu entwickeln.

Diese Kompetenzen können somit einerseits dadurch entwickelt werden, dass Kinder auf der Grundlage konkreten Tuns Lagebeziehungen und Bewegungen im Raum in der Vorstellung nachvollziehen oder anderseits dadurch, dass sie sich eine Vorstellung machen, diese beschreiben, zeichnen und erklären, bevor sie sich handelnd damit auseinandersetzen (vgl. Ruwisch 2006, S. 13).

Verzahnung von Repräsentationseben – Würfelgebäude und ihre Darstellungen

Dem Arbeiten mit geometrischen Körpern (z. B.Würfel)kommt dabei, neben vielen weiteren geeigneten Auseinandersetzungen auch mit ebenen Figuren(siehe PriMakom Selbstlernmodul "Ebene Figuren am Geobrett"), eine wertvolle Bedeutung zu.

Links: Foto eines Würfelgebäudes. Rechts: zweidimensionaler Bauplan des Gebäudes der Draufsicht. In jedem Kästchen steht eine Ziffer für die Anzahl der Würfel, die an dieser Position gestapelt werden.
 

Dabei stellt vor allem die Möglichkeit der Verzahnung unterschiedlicher Repräsentationsebenen ein großes Potential dar.

So können zum einen mit konkretem Material durch konkretes "Tun“ Würfelgebäude (enaktiv) hergestellt werden. Zum anderen können diese auf zwei- und dreidimensionalen (Schräg-)Bilderdarstellung (ikonisch) wiedererkannt und zugeordnet werden oder in Form von Bauplänen (symbolisch) festgehalten werden. Hier entstehen vielfältige Vorstellungsbilder.

Indem diese dann in reichhaltige Aufgaben(-stellungen) erweitert und in Beziehung gesetzt werden, werden die Kinder angehalten, mit diesen Bildern auch mental zu operieren. Somit können sich daraus vielfältige Möglichkeiten zur Schulung des räumlichen Vorstellungsvermögens ergeben.

Auf der folgenden Seite sollen auf Grund dieses Potentials konkrete Umsetzungsmöglichkeiten zur Schulung des räumlichen Vorstellungsvermögens am Beispiel einer aktiv-entdeckenden Auseinandersetzung mit Würfelgebäuden und ihren Schrägbilddarstellungen dargeboten werden.