Ebene Figuren mit dem Tangram erkunden

Im Hintergrund wurde deutlich, dass sich erst durch vielfältige Aktivitäten mit ebenen Figuren und das Sprechen über diese ein umfassendes Begriffsverständnis entwickeln kann. Dabei spielt vor allem die aktive und handelnde Auseinandersetzung und das Herstellen von ebenen Figuren eine zentrale Rolle. 

Das Aus-, Nach- und Umlegen ebener Figuren nach der „Spielidee“ des Tangrams wird dabei auch in vielen Grundschullehrwerken als eine geeignete Lernumgebung angesehen. Doch dabei soll es über ein unsystematischen „Puzzeln“ hinausgehen, indem Kinder durch das Wahrnehmen und Nutzen von Formeigenschaften und deren Beziehungen Legestrategien entwickeln und durch das Sprechen über diese Aktivitäten eine geometrische Sprachkultur aufgebaut und gefestigt werden kann.

In Anlehnung an diese Einleitung und den Ausführungen im Hintergrund soll auf dieser Seite die Lernumgebung unter den folgenden Punkten konkretisiert werden:

Bevor im Folgenden konkrete Anregungen, Ziele und mögliche Aktivitäten im Zusammenhang mit der Lernumgebung beschrieben werden, versuchen Sie sich zunächst einmal selbst an der Grundidee des geometrischen Legespiels „Tangram“, Figuren mit anderen Figuren auszulegen.

Eigenaktivität

Folgender Umriss soll mit den darüber liegenden Figuren ausgelegt werden. Überlegen Sie: Wie gehen Sie vor? Welche Figur wählen Sie zuerst? Warum? 

Foto einer Tafel. Unten: weißes Blatt mit einem gezeichneten Grundriss. Darüber: 4 Figuren (2 Dreiecke und 2 Rechtecke).
 

Problemlösen statt Puzzeln – Ziel und Konzeption

Das Tangram ist ein altes chinesisches Legespiel, dessen Ursprung nicht genau bekannt ist. Folgende Legende existiert, die auch als Einstieg in eine mögliche Unterrichtsreihe mit den Kindern dienen kann:

„Ein alter chinesischer Philosoph wollte seinem Mandarin eine wunderschöne quadratische Platte aus poliertem Marmor als Geschenk überreichen. Doch er stolperte am Eingang des Palastes, die Platte fiel zu Boden und zersprang in sieben Stücke. Als er versuchte, die Teile wieder zusammenzusetzen, entstanden plötzlich Boote, Brücken, Menschen, Tiere und graphische Symbole. So konnte er dem Mandarin ein Präsent ganz besonderer Art darbieten und wurde dafür reich beschenkt.“

Das Tangram besteht aus insgesamt sieben geometrischen Formen:

Tangramteile zusammengelegt als großes Quadrat
 
  • 5 Dreiecke in verschiedenen Größen (2 kongruente große Dreiecke, 1 mittelgroßes, 2 kongruente kleine Dreiecke)
  • 1 Quadrat
  • 1 Parallelogramm

Der Sinn des Tangrams besteht darin, aus den oben genannten sieben Formen (geometrische) Figuren zu legen (vgl. Elffers 1998, S. 14 f.).

Lernziele/ Kompetenzerwartungen

Wie in der Einleitung und der Eigenaktivität bereits angedeutet, sollen die Kinder in der Auseinandersetzung mit den geometrischen Formen und dem Auslegen von Figuren nicht bei unsystematischen „Puzzeln“ (nach der Versuch-Irrtum-Methode) verbleiben, sondern zunehmend, an den Formeigenschaften der Figuren ausgerichtete, Legestrategien entwickeln.

Sie sollten dabei immer aufgefordert werden, ihre Aktivitäten zu beschreiben, und dabei auch Veränderungen von Figuren und auch Beziehungen zwischen ihnen zu erkennen, zu benennen und zu nutzen (Erkennen von gemeinsamen, unterschiedlichen und veränderten Formeigenschaften, z. B. beim Umlegen einer Form in einer Gesamtfiguration).

Die vielfältigen Aufgabenstellungen, die sich in der Arbeit mit den Formen und der Spielidee des Tangrams ergeben, lassen sich aus diesem Grund in den Bildungsstandards und den Lehrplänen dem Bereich „Raum und Form“ unter dem Schwerpunkt „ebene Figuren“ zuordnen. Bezüglich der Kompetenzerwartungen sollen die Kinder in deren Auseinandersetzung:

Ende Klasse 2

Geometrische Grundformen (Rechteck, Quadrat, Dreieck, Kreis) untersuchen, mit Fachbegriffen (z. B. Seite, Ecke) beschreiben und unterscheiden
Ebene Figuren durch z. B. Legen, Nachlegen, Zerlegen oder Zusammensetzen herstellen

Ebenso werden auch die Bereiche „Zeichnen“ und „Raumorientierung und Raumvorstellung“ angesprochen - „Zeichnen“, indem die Kinder zum einen lernen sollen, ebene Figuren zu zeichnen und zu übertragen sowie „Raumorientierung und Raumvorstellung“, indem Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen und zu anderen ebenen Figuren hergestellt und dabei auch die Auswirkung mögliche Veränderungen antizipiert und aus der Vorstellung heraus beschrieben werden können (z.B. das Wegnehmen/Dazu- oder Umlegen einer Figur in einer Gesamtkonfiguration (vgl. unten Aufgabe "Figuren verändern und in Beziehung setzen"). 

Deutlich wird, dass dabei auch die prozessbezogenen Kompetenzen wie das Problemlösen (Legestrategien entwickeln), das Argumentieren (eigene Legestrategien erklären und begründen, sowie die Legestrategien anderer Kinder nachvollziehen und bewerten) und das Darstellen/Kommunizieren (Fachbegriffe nutzen) ebenso angesprochen und gefördert werden können und müssen.

Sprachliche Mittel als Grundlage der Begriffsbildung

Im Hintergrund wurde bereits ausgeführt, dass Kinder lernen müssen, die Besonderheiten der jeweiligen Figuren, also ihre Formeigenschaften, nicht nur zu (er)kennen, sondern auch zur Beschreibung eben dieser hinzuziehen. Neben den Fachbegriffen für die Figuren selbst spielen dabei auch Raumlagebegriffe und weitere Redemittel eine zentrale Rolle. In Bezug auf die Lernumgebung lassen sich diese dafür wie folgt zusammenfassen.

Fachwörter

  • Dreieck
  • Viereck
  • Quadrat
  • Rechteck
  • Schiefes Viereck (Parallelogramm)
  • Seite
  • Ecke

Raumlagebegriffe

  • rechts, links
  • oben, unten
  • neben
  • über, unter

weitere Redemittel

  • legen
  • umlegen
  • nachlegen
  • auslegen
  • klein groß
  • mittelgroß
Wortspeicher zu Figuren mit den Begriffen „das Quadrat, das mittelgroße Dreieck, das kleine Dreieck, das schiefe Viereck, das große Dreieck, die Ecke, die kurze Seite, die lange Seite“ mit entsprechenden Visualisierungen.
 

Sinnvoll ist es, diese gemeinsam mit den Kindern zu erarbeiten (bzw. zu wiederholen) und für alle Kinder in Form von Lernspuren im Klassenraum oder in ihren Arbeitsmaterialien sichtbar zu haben. Sprachspeicher (die über eine Auflistung von Fachbegriffen hinausgehen sollten) sind vor allem dann für die Kinder eine Hilfestellung, wenn durch zusätzliche Visualisierungen die Begriffe konkretisiert werden ("rechts von..." sollte dann auch entsprechend mit einem Gegenstand, der "rechts von etwas steht" dargestellt und benannt werden).

Wichtig

Für die Lernumgebung sollen die Kinder, wie oben aufgezählt, die ebenen Figuren Dreieck, Quadrat und „schiefes Viereck“ (Parallelogramm) unterscheiden und dabei aber auch zwischen den unterschiedlichen Dreiecken differenzieren können.

„Die Bezeichnung mittleres Dreieck führt schnell zu Bedeutungsinterferenzen, da nicht klar ist, ob mit mittleres die Mitte als lokale Angabe oder die Größe der Fläche im Vergleich zu den anderen Dreiecken zu verstehen ist. Daher ist die Bezeichnung mittelgroß zu bevorzugen oder die Bedeutung mittleres Dreieck auf Metaebene zu klären“ (Förderkommentar Sprache Klasse 2, S. 50).

Hinweis

Das Wort Tangram ist nicht notwendig für die im folgenden konkretisierte Lernumgebung, da es in keinem Zusammenhang auftaucht. Die Legende und Bezeichnung kann zwar als Einstieg dienen, es kann aber auch mit einem alternativen Einstieg begonnen werden.

Aus-, nach- und umlegen – Mögliche Aktivitäten und Aufgabenstellungen

Die folgende Lernumgebung eignet sich zur Durchführung in einem 2. Schuljahr. Es sind jedoch bereits vorbereitende Aktivitäten möglich, sodass im Sinne des Spiralprinzips Kompetenzen erweitert werden können. So ist es wahrscheinlich und auch sinnvoll, dass die Kinder bereits im 1. Schuljahr ebene Figuren kennen und zu unterscheiden gelernt haben. 

In der Lernumgebung (in Anlehnung an Zahlenbuch 2. Schuljahr S. 52 f.) steht der handlungsorientierte Umgang mit den ebenen Figuren im Vordergrund, indem Figuren hergestellt, beschrieben und gezeichnet werden (vgl. hierzu auch die Ausführungen im Hintergrund zum „Sortieren“). Vor allem das Sprechen über die Figuren und die Handlung an und mit ihnen stellt die zentrale Lerngelegenheit in Bezug auf die Ausbildung eines Begriffsverständnisses dar.

Im Folgenden sollen die einzelnen Aktivitäten beschrieben werden, indem die konkrete Aufgabenstellung für die Kinder erläutert und die darauf bezogenen Lernziele formuliert werden. Auch zentrale Lerngelegenheiten oder Schwierigkeiten werden benannt.

Als Material können entweder, oft den Schulbüchern beigelegte, ausgestanzte Formen dienen oder sie stellen diese selbst (mit den Kindern) aus fester Pappe her. Dabei sollten die unterschiedlichen Formen auch unterschiedliche Farben haben – die beiden gleich großen Dreiecke jedoch dieselbe. 

Formen erkunden und beschreiben - Eine Standortbestimmung

Foto von geometrischen Figuren im Alltag. Ausschnitt 1: „Kreise“: Foto einer Uhr, einer Steckdose, eines WC-Schildes. Ausschnitt 2: „Quadrate“: Foto der Tafel, von Badezimmerfliesen und der Deckenplatten. Ausschnitt 3: „Rechtecke“: Foto eines Fensters, eines Buchs, eines Tisches, eines Schranks und von Buchstabenkarten.
 

Aufgabe
Die Kinder erkunden ihre Umwelt/ den Klassenraum nach Formen und sortieren diese nach Formeigenschaften/ -besonderheiten (Alternative: mehre Gegenstände im Sitzkreis vorgeben) 

Ziele

  • Charakteristische Formeigenschaften herausarbeiten und unterscheiden; Formen Fachbegriffen zuordnen
  • Sprachverständnis sichern, indem Steckbriefe zu den einzelnen Formen und ein Sprachspeicher erstellt werden

Wichtig
Den Kindern muss vorab klar sein, auf welcher Grundlage sie die Gegenstände sortieren sollen bzw. irgendwann darauf hingewiesen werden, dass es um die Formeigenschaften geht.

Freies Legen und Formen beschreiben

"Welche Figur ist es?"

Abbildung von 3 Tierfiguren, die aus Tangramteilen gelegt wurden.
"Das Quadrat bildet den Kopf. Das schiefe Viereck bildet den Schwanz. Die beiden kleinen Dreicke die Ohren."
 

Aufgabe
Nach einer Phase des freien Legens von (Phantasiefiguren) folgt das Erkennen von vorgegebenen Figurendarstellungen anhanf von Beschreibungen. Die Lehrkragt beschreibt den Kindern bzw. die Kinder beschreiben sich gegenseitig eine von mehreren zur Auswahl stehenden Figuren.

Ziele

  • Erkennen der Grundformen in einer Gesamtkonfiguration
  • Nutzen und festigen zentraler Fachwörter sowie Raumlagebegriffe

Wichtig
Hier kann auch mit von der Lehrkraft vorbereiteten Beschreibungen gearbeitet werden, die die Kinder den Figuren zuordnen sollen. Fragen wie "Woran hast du das erkannt?" soll die Kinder dazu aufforden, die Findungsprozesse noch einmal reflektieren.

Figuren Auslegen (mit Begrenzungslinien) und beschreiben

"Lege die Figur mit unseren Formen aus. Beschreibe."

2 Abbildungen von einem Pferd, das mit Tangramteilen gelegt wurde. Davor ein Kind mit einer Sprechblase: „Die kleinen Dreiecke bilden die Beine, das schiefe Viereck den Schweif, das Quadrat den Hals…“
 

Aufgabe
Die oben gestellte Aufgabe wird hier durch den vorab durchgeführten Legeprozess intensiviert. Die Kinder sollen abgebildete Figuren mit Begrenzungslinien mit den Formen auslegen und Beschreibungen anfertigen.

Ziele

  • Genutzte Formen wiedererkennen und korrekt anordnen
  • Sprachschatz festigen

Wichtig
Die Beschreibungen können sowohl mündlich eingefordert werden als auch schriftlich fixiert werden. Der (in dieser Phase aufzubauende / zu erweiternde) Sprachspeicher spielt hier eine zentrale Rolle und sollte den Kindern zugänglich sein.

Figuren nachlegen (auslegen)

"Lege die Figur mit den Formen nach. Wie gehst du vor?"

Abbildung von dem Umriss einer Figur und nebenstehenden geometrischen Formen. Davor ein Kind mit einer Sprechblase: „Ich sehe sofort, wohin das Quadrat gehört.“
 

Aufgabe
Im Unterschied zu den oben, sind hier keine Begrenzungslinien eingezeichnet. Anstatt auszulegen können die Kinder die Umrissfiguren auch frei nachlegen, ohne die Umrisse mit den Formen auszufüllen.

Ziele

  • charakteristische Formeigenschaften erkennen und nutzen, um zunehmend systematische Legestrategien zu entwickeln

Wichtig
Den Kindern sollten in dieser Phase die Legeregeln bekannt sein: 
(1) Alle Formen müssen benutzt werden.
(2) Die Formen dürfen sich nur berühren und nicht überschneiden!

Verschiedene Möglichkeiten finden

"Lege mit unseren Formen verschiedene Dreiecke und Quadrate. Wie viele findest du?"

Tangramteile, die zu zwei Deckungsgleichen Quadraten zusammengelegt wurden. Davor ein Kind mit einer Sprechblase: „So kann ich ein Quadrat legen.“
 

Aufgabe
Die Kinder sollen mit den Formen geometrische Formen erzeugen und dabei unterschiedliche Möglichkeiten finden und anschließend (mit entsprechenden Begrenzungslinien abzeichnen.

Ziele

  • Formeigenschaften nutzen, um geometrische Figuren zu erzeugen
  • Strategien entwickeln, möglichst viele Auslegemöglichkeiten zu finden
  • Lernen, Figuren zu zeichnen

Wichtig
Die Kinder müssen hier nicht alle Formen nutzen. Es ist sinnvoll, die Kinder hier auch zum Zeichnen der Figuren anzuregen. Zum Zeichnen können die Formen (in Teilen) als Umrisse umfahren werden.

Figuren verändern und in beziehung setzen

"Aus Figur A soll Figur B werden. Was musst du verändern" Beschreibe!"

Ausschnitt aus einer Aufgabe. Abgebildet sind ein Quadrat und ein Dreieck, die jeweils mit den gleichen Formen gelegt wurden. Aufgabenstellung: „Aus…“ (Quadrat), „mache…“ (Dreieck).
"Das mittelgroße Dreieck wird von links oben nach rechts versetzt. Die kurze Seite des mittelgroßen Dreiecks wird an die lange Seite des kleinen Dreiecks gelegt."

Aufgabe
1: Vorgegebene Paare beschreiben lassen und (handlungsorientiert) nach bzw. umlegen lassen. Beschreiben, was von der linken Figur zur rechten Figur verändert wurde (dabei kann etwas weg- oder hinzugenommen oder aber umgelegt werden)
2: Paare von Figurdarstellungen finden lassen. Welche zwei Darstellungen gehören zusammen? Wie wurde umgelegt?

Ziele

  • Gemeinsame und unterschiedliche Formeigenschaften erkennen und in Beziehung setzen

Hier spielt ja auch schon Raumvorstellung eine Rolle

Wichtig
Umlege-Tricks gemeinsam klassifizieren und benennen und besprechen, wie sich Figuren ändern